Für etwas sorgen, ohne es besitzen zu wollen: Das ist Liebe.

In den beiden letzten Briefen habe ich davon gesprochen, wie wir zu einer respektvollen wechselseitigen Beziehung mit der lebendigen Erde finden und auf dieser Basis Schönheit schaffen können. Beides gehört zusammen, da Schönheit den Blick auf das ganze Weltgewebe voraussetzt, und beides kann nur gelingen, wenn wir es mit Liebe tun. In einer Kultur, die Schönheit vermehren und in rechter Beziehung mit der Erde und allen Mit-Wesen stehen will, wird liebevolles Sorgen für sie den Wunsch nach Besitz ablösen.


Stellen wir uns vor, es würde uns ein Stück Land zur Verfügung gestellt, um dafür zu sorgen. Das würde einschließen, dass wir dazu aufgefordert sind, es noch schöner zu hinterlassen, als wir es vorgefunden haben. Auch würden es nicht weitervererbt werden, sondern nach unserem Tod an die menschliche Gemeinschaft zurückgehen, um es wiederum anderen Menschen mit dem gleichen Auftrag zur Verfügung zu stellen. Würden wir dann nicht das gute Zusammenleben mit den Wesen des Ortes in den Vordergrund stellen, unser Haus mit Rücksicht auf sie bauen und ihre Kooperation suchen, wenn wir z.B. einen Garten oder ein Feld anlegten? Es wäre ganz unmöglich ohne Liebe für Pachamama, die Mutter der Raumzeit (das ist die wörtliche Bedeutung des Begriffs, der meistens mit „Mutter Erde“ übersetzt wird).

Besitzdenken ist mit liebevollem Sorgen für die Erde unvereinbar; hingegen erhält das Herz den ihm gebührenden Platz: in der Mitte.

Ich lebe in Südtirol, einer stark vom Tourismus geprägten Region, wo im Moment die bange Frage gestellt wird, wie es mit ihm weitergehen soll. Jetzt hätten wir die Chance, auch unsere Einstellung zu dem, was wir Urlaub nennen, zu verändern. Könnten wir mit der Absicht an einen schönen Ort zu reisen, ihn mit unserer Anwesenheit zu bereichern anstatt ihn zu konsumieren zu wollen? Dann könnte es zu einer Begegnung mit der Seele des Ortes kommen, mit der wir in respektvollen Austausch treten und dabei etwas von unschätzbarem Wert gewinnen würden: erfüllt und mit freudigem Herzen zurückzukehren. Damit würden wir zu Pilgern für die Erneuerung der Beziehung von uns Menschen mit der Erde werden und ihre Heiligkeit wieder entdecken. Es wäre wohl auch an der Zeit, das Wort „heil-ig“ zu rehabilitieren!


Rupert Sheldrake hat schon vor vielen Jahren davon gesprochen, dass unsere Beziehung mit der Erde nur in Ordnung gebracht werden kann, wenn Tourismus in Pilgerschaft transformiert wird, denn echte Pilger wollen einem heiligen Ort etwas bringen und nicht nur etwas von ihm bekommen. Sobald ich mit der Absicht, für etwas sorgen zu wollen, das ich nicht besitze, eine Landschaft oder eine kulturelle Stätte besuche, bin ich Pilger und nicht mehr Tourist: Wieder ein Samen, den wir am kommenden Neumond legen können. Aller guten Dinge sind drei!

Ich bitte ich euch erneut, diesen Brief an eure Kontakte weiterzuleiten, am besten noch mit der Bitte, dies ihrerseits zu tun. Von einer Hand in die andere kommt man schnell um die Welt.


Mit Munay*,

Waltraud Hönes

(Gründerin der Wayna Fanes- Tradition)

 
*Munay (Quechua): Bedingungslose Liebe, eigentlich: Liebender Wille


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